Marc-Steffen Pollak
Head of Complex Risk Solutions, Placement
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Germany
Warum die Bedeutung von alternativen Risikotransferlösungen zunimmt und wie parametrische Versicherungen eine sinnvolle Ergänzung zum klassischen Versicherungsschutz sein können.
Soeben erst wurde uns mit den Starkregenereignissen in Teilen Deutschlands wieder vor Augen geführt, dass Naturkatastrophen zu den größten Risiken unserer Zeit zählen. Zudem besteht mittlerweile weitgehend Konsens, dass der Klimawandel zu einer größeren Anzahl und Schwere an Extremwetterereignissen führt. Doch während sich diese Ereignisse häufen, sinkt vielerorts die Bereitschaft klassischer Versicherer, das wachsende Risko unvermindert zu decken. Vor diesem Hintergrund nimmt die Bedeutung von alternativen Risikotransferlösungen wie parametrischen Versicherungen zu, um den Versicherungsschutz in klassischen Sachversicherungsverträgen zu ergänzen oder um bisher nicht versicherte Gefahren und Szenarien abzusichern.
Während parametrische Versicherungen in anderen Regionen der Welt wie z.B. Nordamerika bereits seit einiger Zeit etabliert sind, fristeten sie im deutschen Versicherungsmarkt noch ein Nischendasein. Mit der sich verändernden Risikolandschaft und der besseren Verfügbarkeit von Daten und Modellen steigt die Nachfrage jedoch auch hierzulande. Heute werden parametrische Deckungen für eine Vielzahl unterschiedlicher Risiken genutzt. Sie können sowohl zur Absicherung gegen Schwankungen im Bereich der erneuerbaren Energien dienen als auch zur Deckung von Naturkatastrophenrisiken im öffentlichen wie im privaten Sektor oder zum Schutz von Ernteausfällen im Agrarsektor.
Bei parametrischen Versicherungen legen sich Versicherer und Versicherungsnehmer auf einen oder mehrere vor Vertragsabschluss definierte Parameter fest, die zumeist als Index bezeichnet werden. Das Über- oder Unterschreiten bestimmter Schwellenwerte auf diesem Index löst den Versicherungsfall aus, d.h. dem Versicherungsnehmer steht als Entschädigung eine vorab festgelegte Deckungssumme zu.
Die höhere Verfügbarkeit und Verlässlichkeit der den Deckungen zugrundeliegenden Daten und Modellen bestärkt die Nachfrage nach parametrischen Versicherungen. Dank einer Fülle von Datenanbietern, die auf Wetterstationen, Satelliten oder extra angebrachten Sensoren zugreifen, können die Deckungen besser auf die genauen Bedürfnisse der Versicherungsnehmer zugeschnitten werden. Da die Anbieter solcher Indizes ihre Daten unabhängig von Versicherer und Versicherungsnehmer erheben, sind sie in ihrem Urteil unabhängig und objektiv in ihrer Bewertung. Die erhobenen Daten verfügen zudem mittlerweile über eine ausreichende Historie, um die Strukturierung der Deckung zu unterstützen.
Parametrische Versicherungslösungen finden hauptsächlich bei Wetterrisiken und Naturgefahren Anwendung. Mögliche Parameter können Windstärke, Sonneneinstrahlung, Temperatur oder Pegelstände von Flüssen sein. In Deutschland wird zum Beispiel die Binnenschifffahrt oder industrielle Produktion des Öfteren durch schwankende Pegelstände von Rhein, Donau oder anderen Flüssen beeinträchtigt. Kraftwerke brauchen Flusswasser zur Kühlung, schwerindustrielle Produktionsbetriebe beziehen ihre Rohstoffe über die Flussfahrt. 2021 verhinderten erst Starkregen und Gletscherschmelze die Schifffahrt auf dem Rhein. Im Folgejahr führte er aufgrund von Trockenheit zu wenig Wasser. Beide Male kam es zu Unterbrechungen der Lieferketten und damit zu massiven Schäden.
Oft ergänzen parametrische Versicherungen klassische Sach- und Ertragsausfallversicherungen, indem z. B. hohe Selbstbehalte oder nicht ausreichende Limiten für üblicherweise versicherte Gefahren wie Erdbeben oder Sturm/Hagel abgedeckt werden. Zudem lassen sich bestehende Deckungslücken schließen, wie z.B. sogenannte Non-Damage Betriebsunterbrechungen, die in klassischen Verträgen zumeist ausgeschlossen sind. Denn während in der traditionellen Sachversicherung in der Regel ein vorhergehender Sachschaden die Voraussetzung für die Deckung des daraus resultierenden Ertragsausfalles ist, wird bei parametrischen Versicherungen unabhängig von einem solchen Ereignis der finanzielle Verlust bis maximal zur vertraglich vereinbarten Entschädigungshöhe gedeckt.
Entsprechend steigt das Interesse nach parametrischen Deckungen in den unterschiedlichsten Branchen, denn die Vorteile gegenüber traditionellen Lösungen gelten unabhängig von der jeweiligen Industrie des Versicherten. So werden Zahlungen bei parametrischen Lösungen schneller als bei klassischen Versicherungen geleistet, da die Entschädigung vorab vereinbart wird und sich am Grenzwert bemisst. Beispiele hierfür sind Überflutungen, bei denen im Vorfeld modelliert werden kann, wie hoch der Schaden an Maschinen und Gebäuden voraussichtlich ist, wenn der Wasserstand eine bestimmte Höhe übersteigt. Dadurch gelten parametrische Deckungen auch als transparenter – denn die Höhe der Entschädigung ist vorab bekannt. Zudem gelten sie als kostengünstiger in Bezug auf die Vertragsverwaltung, da gerade die langwierige Schadenregulierung entfällt
Von Zeit zu Zeit wieder gibt es Ansätze die Anwendungsbereiche von parametrischen Versicherungen über wetter- und naturgefahrenbedingte Gefahren auszuweiten wie z.B. im Bereich Cyber. Bisher begrenzt es sich in der Praxis jedoch weitestgehend auf die erstgenannten Bereiche, die sich in unterschiedlicher Weise auf die verschiedensten Branchen auswirken.
Das kann sowohl Fluggesellschaften betreffen, die aufgrund von Wetterbedingungen ihre Transportleistungen nicht erbringen können oder im Tourismus sein, wo Gastronomie oder Hotellerie aufgrund von Unwettern nicht arbeiten können, es trifft die Unterhaltungsindustrie, die ihre Open-Air Veranstaltungen nicht durchführen kann oder die Automobilindustrie, die um ihre Autobestände bei Hagelstürmen fürchtet.
Insbesondere international tätige Unternehmen suchen oft eine Kombination aus Sachversicherung bzw. Naturkatastrophendeckung und Schutz vor Betriebsunterbrechungen, um ihr Geschäftsmodell vor Liefer- bzw. Produktionsausfällen zu schützen. Oftmals sind sie abhängig in ihrer Produktion von der zeitgenauen Lieferung bestimmter Ressourcen oder verlässlichen Wind- oder Wasserverhältnissen. Sie ergänzen daher klassische und parametrische Deckung, um Standorte und Lieferketten abzusichern und Deckungslücken zu vermeiden.
Parametrische Versicherungen können ähnlich wie Wetterderivate von Herstellern bzw. Anbietern im Bereich der erneuerbaren Energien zur Absicherung gegen wetterbedingte Risken genutzt werden. Denn für ihre Stromerzeugung gehen sie von bestimmten Windstärken oder Sonnenzeiten aus. Wenn jedoch der tatsächliche Wind bzw. die Sonnenstunden von diesen Annahmen abweichen, kommt es zu Produktionsschwankungen oder -Ausfällen, die sich durch parametrische Versicherungen ausgleichen lassen. In Zeiten des Klimawandels mit einer erhöhten Klimavarianz steigt die Bedeutung solcher Absicherungen signifikant.
Vor dem Hintergrund einer wachsenden Palette von Anwendungen und damit auch einer breiteren Kundenbasis wird die parametrische Versicherung auch in Deutschland weiter an Bedeutung gewinnen. Hinzu kommen die steigenden Risiken durch wiederkehrende Extremwetterereignisse – wie die erwähnten Überschwemmungen in Teilen Deutschlands. Hier kann die parametrische Versicherung eine wichtige Funktion übernehmen und in Kombination mit der traditionellen Sachversicherung eine verbesserte Risikoabdeckung bieten.
Erstveröffentlichung in der „Die VersicherungsPraxis 7+8/2024"
Head of Complex Risk Solutions, Placement
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